Konversion als Nachfluchtsgrund, 3 KO 590/13

1. Die Furcht vor flüchtlingsschutzrelevanter Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die Verfolgungsgefahr aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Der danach relevante Maßstab...

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Corporate Author: Thüringen, Thüringer Oberverwaltungsgericht (Author)
Format: Print Article
Language:German
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Published: Berliner Wissenschafts-Verlag 2022
In: Kirche & Recht
Year: 2022, Volume: 28, Issue: 1, Pages: 125-126
Further subjects:B Jurisdiction
B Art. 10 Abs. 1, Art. 15 Abs. 2 EMRK
B Art. 10 Abs. l GRCh
B § 3, § 3a, § 4, § 15 Abs. 1, § 25 Abs. l S. 1, § 28 Abs. la AsylG
B Art. 2 lit. d, Art. 4 Abs 4, Art. 9 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 lit. b Qualifikations-RL(RL 2011 / EU) / 95
B § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1 AufenthG
Description
Summary:1. Die Furcht vor flüchtlingsschutzrelevanter Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die Verfolgungsgefahr aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Der danach relevante Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassen-den Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Ver-folgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb ge-genüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen.
2. Einer Über-zeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. l VwGO wird der Richter durch die ty-pische Beweisnot nicht enthoben. Das fehlen von Beweismitteln mag die Mei-nungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht da-von, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheb-lichen Sachverhalts zu bilden.
3. Eine drohende Verurteilung wegen Waf-fenschmuggels ohne erwiesenen politischen Hintergrund zu einer Freiheitsstra-fe gibt keinen Anhalt für einen asylrechtserheblichen Gehalt der Strafmaßnah-me.
4. Unter welchen Voraussetzungen ein Eingriff in die Religionsfrei-heit als Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Qualifikationsrichtlinie zu werten ist, hat der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung kon-kretisiert. Danach ist die Religionsfreiheit eines der Fundamente einer demo-kratischen Gesellschaft und stellt ein grundlegendes Menschenrecht dar. Ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit kann so gravierend sein, dass er ei-nem der in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Fälle gleichgesetzt werden kann, auf die Art. 9 Abs. 1 Qualifikationsrichtlinie (wie auch § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG) als Anhaltspunkt für die Feststellung verweist, welche Handlungen insbesondere als Verfolgung gelten.
5. Beruft sich der Schutzsuchende auf eine Verfol-gungsgefährdung mit der Begründung, er sei in Deutschland zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten, muss er die inneren Beweg-gründe glaubhaft machen, die ihn zur Konversion veranlasst haben. Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Reli-gion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Ein-stellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt (im Anschluss an: vgl. BVerfG, Urteil vom 22. Mai 2020 - 2 BvR 1838/15 - juris Rn. 30).
6. Wann eine identitätstiftende Prägung des Religionswechsels anzuerkennen ist, lässt sich nicht allgemein beschreiben. Nach dem aus der Gesamtheit des Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahrens gewonnenen Ein-druck muss sich der Schutzsuchende aus voller innerer Überzeugung von sei-nem bisherigen Bekenntnis gelöst und dem anderen Glauben zugewandt haben. Die religiöse Identität lässt sich als innere Tatsache nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhalts-punkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen (in Anschluss an: BVerfG, Urteil vom 22. Mai 2020 - 2 BvR 1838/15 - juris Rn. 30).
7. Hat der Asylsuchende eine christliche Religion angenommen, genügt es im Regelfall nicht, dass er lediglich formal zum Christentum übergetreten ist, indem er ge-tauft wurde. Eine Bindung des Gerichts an die Beurteilung eines Amtsträgers einer christlichen Kirche, der Taufe des Betroffenen liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zugrunde, die in die Zukunft wirkt, besteht nicht (in Anschluss an: BVerfG, Urteil vom 22. Mai 2020 -2 BvR 1838/15 - juris Rn. 30).
8. In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtspre-chung kommt es auch nach der Auffassung des Senats auf Grundlage der aus-gewerteten Erkenntnisquellen hinsichtlich des Irans für die Frage einer Verfol-gungsgefahr wegen Konversion maßgeblich darauf an, ob im Fall einer Rück-kehr einer konvertierten Person in den Iran davon auszugehen ist, dass diese ihren neu aufgenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - aktiv im Iran ausüben wird.
(Amtliche Leitsätze)
ISSN:0947-8094
Contains:Enthalten in: Kirche & Recht